Lernende lernen

Mehr Ferien für Lernende: Eine Investition in die Bildungsqualität

Die Lernfähigkeit junger Menschen hängt stark von ausreichenden Erholungsphasen ab.

Ein Zusammenhang, der in bildungspolitischen Diskursen zunehmend Beachtung findet. Trotz dieser Erkenntnis bleibt die Ferienregelung für Lernende in der Schweiz weitgehend unverändert. Dabei mehren sich die Hinweise auf strukturelle Überlastung und deren Folgen:

Hohe Abbruchquoten, psychische Belastungen und sinkende Ausbildungsqualität.

Während skandinavische Länder mit grosszügigen Erholungsphasen reagieren und diese als festen Bestandteil ihrer Bildungssysteme etablieren, verharrt das Schweizer Modell bei minimalen Standards.

Die Frage drängt sich auf: Sind strukturelle Anpassungen überfällig?

Zwischen Betrieb und Berufsschule: Eine strukturelle Belastung

Fünf Ferienwochen jährlich sind gesetzlich vorgesehen.

Lernende leisten weit mehr als nur schulische Präsenz. Sie stehen zugleich im produktiven Einsatz im Betrieb, müssen Leistungsausweise erbringen und sich auf Prüfungen vorbereiten. In Berufen mit körperlicher Beanspruchung, oder emotionalem Stress summieren sich diese Anforderungen.

Belastungsfolgen sind nachvollziehbar

Studien zeigen: Chronischer Stress und Schlafmangel beeinträchtigen Gedächtnis, Konzentration und emotionale Stabilität.

Die KiGGS-Studie des Robert Koch-Instituts belegt etwa, dass Schlafprobleme bei Jugendlichen eng mit erhöhtem Stresslevel, depressiven Symptomen und verminderter Lebensqualität zusammenhängen (RKI, 2022).

Diese gesundheitlichen Belastungen können zu Motivationsverlust, Frustration und letztlich zu Ausbildungsabbrüchen führen. Das hat Folgen für Lernende, wie auch für die Lehretriebe.

Ein erschöpfter Lernender verliert nicht nur an Motivation, sondern auch zunehmend die kognitive Fähigkeit, komplexe Inhalte zu erfassen und zu verarbeiten.

Das Resultat: Schlechtere Leistungen, wiederholte Abwesenheiten und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, das Ausbildungsziel nicht zu erreichen.

Internationale Perspektiven: Skandinavien macht es vor

Finnland, Schweden und Norwegen zeigen, dass grosszügigere Ferienregelungen mit hoher Bildungsqualität vereinbar sind.

Lernende in diesen Ländern haben durchschnittlich 12 bis 13 Wochen Ferien pro Jahr. Das ist deutlich mehr als die fünf Wochen, die in der Schweiz gesetzlich vorgesehen sind.

Die längeren Erholungszeiten werden in Skandinavien als zentraler Bestandteil einer gesunden Lernkultur verstanden und verteilen sich über das gesamte Jahr.

Norwegen investiert überdurchschnittlich in Bildung, Finnland verzichtet in den ersten Schuljahren auf Noten und setzt auf Entschleunigung. Internationale Vergleichsstudien bestätigen die positiven Effekte (GoStudent, 2022).

Diese Länder sind Vorbilder für die Schweiz. Sie machen vor, wie ein entlasteter Schul- und Ausbildungsalltag den nachhaltigen Lernerfolg fördert.

Bildungspolitische Dimension: Stabilität und Verbindlichkeit fördern

In der Schweiz wurden im Jahr 2021 fast 22 Prozent der Lehrverträge vorzeitig aufgelöst (BFS, 2023). Die Gründe sind vielfältig:

  • Fehlende Passung,
  • betriebliche Konflikte,
  • gesundheitliche und psychische Überforderung.
Lernende lernen den Umgang mit gefährlichen Werkzeugen.
Lernende lernen den Umgang mit gefährlichen Werkzeugen.

Letzteres ist schwer messbar. Dabei liegt hier ein beträchtliches Präventionspotenzial zugrunde. Zeitliche Entlastung ist keine pädagogische Zugabe, sondern eine strukturelle Voraussetzung für nachhaltiges Lernen.

Lehrbetriebe, die flexible Modelle erproben, wie etwa Blockzeiten, Gleitzeit, oder Regenerationsphasen nach Belastungsspitzen, berichten von geringerer Fluktuation und höherer Ausbildungszufriedenheit.

Bildungsökonomische Relevanz

Der wirtschaftliche Schaden vorzeitiger Lehrabbrüche ist erheblich.

Schätzungen beziffern die Folgekosten pro Fall auf mehrere tausend Franken! Dies, durch entgangene Produktivität, Rekrutierungskosten und den Ausfall von Fachkräften in Ausbildung.

Erholte Lernende sind motivierter, belastbarer und erfolgreicher. Das erhöht nicht nur die Ausbildungsqualität, sondern zahlt auch auf die Fachkräftesicherung ein. Betriebe profitieren durch tiefere Abbruchraten und bessere Produktivität.

Im Umkehrschluss bedeutet das: Jede Massnahme zur Stabilisierung des Ausbildungsverlaufs ist auch eine Investition in die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit.

Fazit: Bildungspolitik mit Weitblick gestalten

Der Ruf nach zusätzlichen Ferienwochen mag aus traditioneller Sicht als weich erscheinen. Angesichts der empirischen Fakten aber, ist er Ausdruck einer bildungspolitischen Weitsicht und Systemverantwortung.

Wer Ausbildungsabbrüche vermeiden, Bildungsqualität sichern und Fachkräfte langfristig binden will, muss jungen Menschen die Ressourcen geben, die sie für nachhaltiges Lernen benötigen – und dazu zählt auch Zeit. (Rolf Siebold, 2025)


Deine Meinung ist gefragt

  • Wie beurteilst du den Zusammenhang zwischen Erholung und Ausbildungsqualität?
  • Welche strukturellen Massnahmen könnten zur nachhaltigen Entlastung von Lernenden beitragen? Aus Sicht der Bildungsqualität und Fachkräftesicherung?
  • Welche alternativen strukturellen Massnahmen könnten ebenso zur nachhaltigen Entlastung von Lernenden beitragen?

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2 Kommentare
  1. Urs E. Gattiker, Ph.D. DrKPI
    Urs E. Gattiker, Ph.D. DrKPI sagte:

    Rolf

    Danke für diesen Beitrag. Mehr Ferien finde ich eine gute Idee, wegen der Fairness gegenüber von Schülern aber auch weil die Jugendlichen das einfach brauchen!

    Du schreibst unter anderem „Chronischer Stress und Schlafmangel beeinträchtigen Gedächtnis, Konzentration und emotionale Stabilität.*

    Mehr Ferien reduziert nicht unbedingt den Stress. Wenn der Lehrling nämlich zurück im Alltag ist, geht der Druck von neuem los:

    – Berufsschule
    – Betrieb

    Aber vor allem ist der Schlafmangel bei der heutigen Generation-Z (link anklicken) fast immer ein Dauerzustand. Da helfen Ferien kaum.

    Zusätzlich erhöht Schlafmangel das Risiko eines Betriebsunfalles.

    Da hilft nur ein wenig Selbstdisziplin, d.h. 45 Min bevor ich ins Bett gehe in keinen Screen mehr schauen (i.e. Handy, iPad, usw.) und regelmässig zur gleichen Zeit ins Bett. Nur dann besteht die Chance, dass die Person mindestens 7 Std. Schlaf bekommt (8 wäre schön 😀 ).

    Urs
    #DrKPImetrics #CyTRAP

    Antworten
    • Rolf Siebold
      Rolf Siebold sagte:

      Lieber Urs,

      Vielen Dank für deinen Kommentar – du sprichst einen wesentlichen Punkt an.

      Selbstdisziplin ist ein zentraler Erfolgsfaktor in der Ausbildung.
      Doch gerade in der Praxis zeigt sich, dass Lernende

      – ganztags im Betrieb sind,
      – die Berufsschule besuchen,
      – die Hausaufgaben erledigen,
      – den Lernstoff verarbeiten,
      – und Bildungsnachweise erstellen.

      Und dies meist abends, oder am Wochenende. Die Freizeit ist damit stark begrenzt und echte Erholung bleibt oft auf der Strecke.

      Es geht also nicht darum Selbstdisziplin in Frage zu stellen, sondern darum, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Leistungsfähigkeit und Gesundheit langfristig erhalten bleiben.

      Denn wer konstant überfordert ist, verliert nicht an Wille, sondern an Kraft.

      Dass es auch anders geht, zeigen Länder wie Finnland oder Norwegen.

      Sie bieten mehr Ferien und flexiblere Modelle mit klar messbaren positiven Effekten. Genau da liegt der Anknüpfungspunkt für unsere Diskussion.

      Herzlichst

      Rolf

      Antworten

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